23 March 2012

Der Antisemitismusbegriff: Dz, dz, "Die Zeit" - Nichts zum Rumschmeißen!

Und schon wieder schmeißt ein Zeitjournalist mit dem Schlamm eines falsch angewendeten Antisemitismus-Begriffs um sich, um nervige, kritische Stimmen verstummen zu lassen. Wie beim Versuch in Januar 2009, nach ihrem Aufruf zum Israel-Boykott, Naomi Klein mit einer bedeutungsleeren Anwendung des Begriffs im falschen Verdacht zu bringen (hier), will nun Thomas E. Schmidt (Die Zeit, 15.3.2012) die Linke als eine Partei, die „bis heute von … antisemitischem Geist nur so vibriert“, verleumden (hier). Macht ja nichts, dass dieser sprachliche Schlag, keine Spur von Wahrheit beherbergt. Macht nichts, dass die Linke jegliche Form des Rassismus, einschließlich des Antisemitismus, bekämpfen: Siehe hier bitte die proportionale Beteiligung Mitglieder der Linke in der letzten Antinazi-Aufmarsche in Dresden, im Vergleich zur proportionalen Beteiligung Mitglieder der CDU (siehe u.a. Die Taz, 9.2.2012). Nein, Schmidt, weißt es wohl: Wenn man dieselbe Parolen an dem richtigen Publikum oft genug bringt, dann wird etwas immer hängen bleiben.

Bemerkenswert ist es, dass Schmidts Propaganda-Strategie die Methoden frühere DDR Regierungen nah ist, deren Polarisierung der neuen Geschichte und des antifaschistischen Kampfs er im selben Aufsatz zu Recht verurteilt. Oppositionelle Meinungen werden kein Raum gegeben: Es gibt nur die eine korrekte Geschichtsinterpretation, die Interpretation des Establishments. Wenn der Begriff „Konterrevolutionär“ durchaus für bestimmte Gruppen im Osten Teil Deutschlands in den 1940er und Anfang der 1950er Sinn hatte, verlor derselbe Begriff zwischen 1953 und 1989 seine Bedeutung, weil der angewendet wurde, um jede Art andersdenkenden Mensch und Gruppierung auszugrenzen. Auf ähnliche Weise, führt die konsequent-falsche Anwendung der Vokabel „Antisemitismus“, zu einer Abwertung einer der Schlüsselbegriffe der deutschen Geschichte. Und dies, nur um Kritiker der Regierung und des Staates Israel von der Hand zu weisen, ohne die intellektuelle Leistung zu erbringen, sich mit der Kritik auseinanderzusetzen.

Die Aufstellung Beate Klarsfeld als Präsidentenkandidat der Linken soll – so Schmidt – als Wünsch der Linkepartei verstanden werden, die DDR abermals gegen den „westdeutschen Nazi-Staat“ (Zitat: Schmidt) aufspielen zu lassen. Dabei ignoriert er eine andere, alltäglichere Erklärung: Die Linke wollte eine Kandidatin, wessen Leistungen, die politische Basisarbeit vielen Linke-Mitglieder gegen Faschismus und gegen Neonazis vertreten konnte. Auf verfassungstreuen, friedevollen Weise, will die Linke deren Recht ergreifen, anders als die Mehrheit zu sein, wozu gehört: Ein anderes politisches Repräsentant wollen zu dürfen. Diese Rechten sind es, die Menschen, die tatsächlich aus antisemitischen Motivationen handeln, andere Menschen aberkennen. Sowas lassen wir aber in Nachkriegs- und Nachwende-Deutschland nicht zu!  

08 March 2012

Festwoche für die Befreiung der Hochdeutschen: Nur mit Anmeldung.

Schon wieder heut Morgen zum Frühstück bei langweiligen Freunden: Ich sitze in einem Ketten-Café nicht weit von der Hamburger Stabi entfernt, und höre eine Unterhaltung am Nebentisch zu. Zwei Frauen, anscheinend türkischen Herkunft, die anscheinend - mein erster Eindruck, zumindest - genau so "gutes" oder "schlechtes" Hochdeutsch sprechen, wie unserem gattungmäßigen Wissenschaftler. Na, und?

Und, wie so oft in Deutschland, konnten oder dürfen die zwei Frauen keine Inhalte besprechen, obgleich sie mit diesen sich gegenseitig hätten bereichern können: Wie wir es auch täglich machen müssen, müssten auch sie vor dem hohen Stuhl der Hochdeutschen auf die Knie fallen und dort die Bußeleistung erbringen. Die eine Frau hatte eine 50-seitige Arbeit - die irgendwo bei einer Vor-Doktorarbeit Stufe einzuordnen wäre - über Literatur im ossmanischen Reichs des 19. Jahrhunderts geschrieben; die andere, befreundete Frau war Akademikerin, schon höher auf der Karriereleiter, die Hilfestellungen anbat. Liebkosenden Zitaten aus Istanbuls Lieblings-Lyriker, oder eine gefühlte Polemik darüber konnte ich aber nicht aufschnappen. Da wir bei den wichtigsten Fragen stecken geblieben sind: "Ein oder einem", "Ossmanischen reich ... klein oder groß geschrieben?", "Komma, dass, noch ein Komma?".

Gibt es einen anderen Land, in der Sprachrichtigkeit, im Gegensatz zu den moralischen oder intellektuellen Richtigkeit der Inhalten geschriebenen oder gesprochenen Sprache, so sehr als Mittel der Auslese angewendet wird als im  Land der Hochdeutschen? Falls nein, sollten wir etwa darüber Stolz sein?

Zu diejenigen Hochdeutschen, die mir die Gnade gezeigt haben, so weit in diesem fehlerhaften, schöffeöligen Text zu lesen,und nun rausplatzen -  "Korrektes Deutsch ist die alle erste Vorrausetzung einer Teilnahme in unserem Club, besonders wenn es um die Teilnahme in unseren wissenschaftlichen oder literarischen Zweige geht. Eine Binnenweisheit!" - zu diejenigen platze ich gerne zurück - "Hören Sie Mal! Ein Mal richtig hinhören, ohne zuerst wegen des Lastes der Unkorrektheit beim Hören aufzuhören. Hören Sie das, was die - 30%? - 40%? - der im Land der Hochdeutschen lebenden Menschen, die nie Ihr Hochdeutsch hinreichend richtig schreiben werden - aussagen. Hören Sie die Aussagen, die Inhalte zu."

Bei der Festwoche für die Befreiung der Hochdeutschen (terminlich mit den jetzigen dreiundvierzig anderen deutschen Befreiungswochen hochnäsig abgestimmt) werden alle Hochdeutschen - und auch alle noch nicht so höhen Deutschen - von den dienstlichen Erbringen Bußeleistungen vor dem o.g. Thron befreit. In dieser Woche
werden allen die Schnauze nach schreiben und sprechen, wie nur die alle Höchsten es sonnst durfte: Wie Goethe, der wahrlich die Hälfte der Reime im Ost-West Divan in jener entspannten Phase der Betrunkenheit aufdeckte, die uns eine befreiende Gleichgültigkeit bietet. (Wo sonnst der Mut "Mahomet gelungen" auf "Welt bezwungen" zu reimen?) In unseren befreienden Festwoche, Goethe fröhlich vergessend, dürfen Welt-Durchbrüche erwartet werden. Chemiker polnischen Ursprung, lassen die Frage " ... von einer Wasserstoffverbindung?' oder '... einer Wasserstoffverbindung?' baden gehen, und schaffen es, im Nu, Brennstoffzellenautos zu bezahlbaren Preisen auf dem Markt zu bringen. Der Schwäbischer Literaturwissenschaftler, der auf dreckigen, subtilen Weise nur wegen vereinzelten - jedoch ungelegenen - Schwäb'sche Versprecher auf Nebenstellen abgeschoben wurde: Er liefert seinen seit Jahren auf Schwäbisch geplanten Schiller-Vortrag, unangekündigt, für zweihundert Studienanfänger. Nach dem die Welle schmerzhaften Peinlichkeit überwunden wurde, wird er zugejubelt. Zum ersten Mal in seinem Leben gibt es eine Studentengruppe, die etwas mit ihm anfangen können. Und die Frauen in Aldi, die gar nicht wissen, dass sie von den hochdeutschen Anforderungen für eine Woche befreit seien, und, wie immer, die Kassiereinnen mit "Du Tomaten?" befragen? Die werden im nächsten Jahr befreit. Immer die Reihe der Integrationkompetenzen nach.