Im Zeitraum 2015-2016 wird unsere deutschsprachige Erstübersetzung von Louis MacNeices Lyrik veröffentlicht. Hier erklären wir warum.
Warum MacNeice?
Der
große britische Lyriker Louis MacNeice fristet im deutschsprachigen Raum ein
bisher unübersetztes Dasein. Er steht im Schatten der Schriftsteller-Gruppe um
Auden, Isherwood, Spender und dem Nachruhm seines Freundes Dylan Thomas.
Später, ab den 60er Jahren, stieg Seamus Heaneys Stern, und MacNeice verblieb
hierzulande nahezu unbekannt. Vollkommen zu Unrecht, denn wie kaum jemand
behauptete sich MacNeice mit einer unverwechselbaren Stimme in der
englischsprachigen Lyrikwelt der Zwischenkriegsjahre bis zu seinem vorzeitigen
Tod mit nur 56 Jahren im London der frühen 60er Jahre.
Zielsicheres Gespür für das Undogmatische
Im
Gegensatz zu Auden, mit dem er eng befreundet war, und vor allen Dingen im
Gegensatz zu den charismatischen, aber zugleich oft selbstherrlichen Dichtungen
der Modernen wie Yeats, Eliot oder Pound, verlässt sich MacNeice auf sein
zielsicheres Gespür für das Undogmatische. Er ist nie Anhänger der rein
politischen oder experimentellen Dichtung. Stattdessen entwickelt er eine
dokumentarisch, sachliche Poetologie, die das Journalistische neben dem
Ästhetischen und das Gesprochene neben dem Lyrischen platziert. Deutlich wird
dies im Vergleich mit Audens Behandlung der Atmosphäre vor Ausbruch des 2.
Weltkrieges – dessen Gedichte September
1, 1939 und Spain erschienen
praktisch zeitgleich mit MacNeice‘ epischem Autumn
Journal [1938]. Wo Auden moralisierend und symbolistisch zu Felde zieht und
später in seinem berühmten Age of Anxiety
religiös bilanzierende Verse dichtet, hält MacNeice mit einem reportageartigen
lyrischen Tagebuch dagegen. Eher dem Tonfall seines Landsmannes George Orwell
in Mein Katalonien verwandt, hütet
sich MacNeice davor, idealistischen Programmen hinterherzulaufen. Er
entscheidet sich für eine direkte und zugleich persönlich berührte
Auseinandersetzung mit der Stimmung im langen Herbst vor der Katastrophe. Damit
schafft er es, dichterisch ein Zeitbild entstehen zu lassen und erlebbar zu
machen.
The Earth Compels, wahrlich
Geboren
1907 im nordirischen Belfast, setzt sich MacNeice früh mit Mythen und Menschen
seiner britischen Heimat auseinander. In seinem ersten, sehr erfolgreichen
Gedichtband The Earth Compels dichtet
er in klarer, rhythmischer Sprache über Belfast, die Hebriden, Zirkus, die
Tinker oder Rendezvous einfacher Leute – nicht unähnlich den Dichtungen Bertold
Brechts. Weder neoklassisch noch bemüht avantgardistisch widmet MacNeice seine
eigene, erdverbundene Stimme den Bildern, kleinen Dramen und Beobachtungen
seiner Umgebung. Die chthonische Stimmung verweigert sich jedem Moralisieren,
obwohl er mit dem lyrischen Finger in vielen Misthaufen seiner Landsleute
stochert und kritisch die allgegenwärtige Armut, den bisweilen aussichtslos
scheinenden Kampf gegen Naturgewalten, den Alkohol oder religiöse Heuchelei
schildert.
Die Nacht mit Dylan Thomas um die Ohren schlagen
Die
Gedichte der Nachkriegszeit entstehen parallel zu denen des mythischen Walisers
Dylan Thomas. Obwohl beide unterschiedliche dichterische Positionen einnehmen, sind sie zeitlebens befreundet.
Der „Rimbaud vom Cwmdonkin Drive“ schlägt sich seine letzte Nacht vor der
verhängnisvollen Abreise nach New York mit MacNeice in einem Londoner Pub um
die Ohren. Wie Thomas arbeitet auch MacNeice für die BBC und schreibt und
inszeniert viele bekannte Hörspiele, später zum Teil von William Walton und
Benjamin Britten vertont. Letzterer steht für weitere Parallelität zwischen
MacNeice und Auden, denn letzterer wiederum schreibt mehrere Libretti für
Britten und später für Strawinsky und Henze. Während MacNeice innerhalb
Großbritanniens eben nicht zuletzt aufgrund seiner BBC-Arbeiten Bekanntheit
genießt, erreicht er jedoch nie das global-populäre Image von Auden oder
Thomas, von vielen Übersetzern schon zu Lebzeiten ins Deutsche übertragen. Nur
ein einziger Band von MacNeice, Astrologie,
eine unbedeutende Auftragsarbeit, wurde übersetzt; 1965 posthum zwei Jahre nach
seinem Tod.
Letzte Äußerungen eines sprachmächtigen Beobachters
Wäre
MacNeice als dichterisch verstummter Hörspiel-Autor gestorben – übrigens infolge einer Lungenentzündung,
die er sich beim Aufnehmen von Originaltönen in einer feuchten Höhle zuzog,
wäre er sicherlich nicht zu dem überragenden Geheimtipp der englischsprachigen
Lyrik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert geworden. Was MacNeice
allerdings endgültig zu einer singulären Dichterstimme erhoben hat, sich keiner
Strömung korrumpierend, sind seine drei letzten Gedichtbände, die kurz vor und
nach seinem Tod erscheinen. Besonders in The
Burning Perch, wenige Tage nach seiner Grablegung veröffentlicht, befinden
sich in klaren, verknappten Versen und zugleich klassisch anmutenden
Reim-Einschüben die letzten Äußerungen eines sprachmächtigen Beobachters, die
ihn zu einer vor allem von anderen Dichtern geschätzten Persönlichkeit haben
werden lassen. Mit Wehmut (Abschied von
London), beinahe anarchischem Humor, der an spätere Ideen der Monty Python
denken lässt (Die Taxis) oder
surrealen Bildern von Busfahrten (Charon),
webt MacNeice eine kraftvolle Lyrik ohne Allüren, die besonders auf den
irischen späteren Nobelpreisträger Seamus Heaney großen Einfluss ausgeübt hat.
Der missing link zwischen Yeats und Heaney
Auch wenn MacNeice seine größten
dichterischen Erfolge zu
Lebzeiten lange vor seinem frühen Tod hat, gilt es
besonders im
deutschsprachigen Raum, ihn als den missing link zwischen Yeats und
Heaney zu entdecken. Als einen
großen Dichter, der erdige Themen
und distanziert-kritische Haltung mit Ironie
vorgetragen, dem
Erratischen oder Pompösen der Auden-Generation und Dylan
Thomas nicht nur entgegensetzen, sondern langfristig etablieren
konnte. Als
einen Dichter, der über eine eigenständige Position die
lyrische Sprache einer
sich ihrer Wurzeln bewussten Nation
mitbestimmt hat und es durch seine
Nachfolger weiterhin tut. Als
einen Dichter, der es geschafft hat, Sympathien
in seinen Lesern für
sich als Person zu wecken, weil er mit ihnen gemeinsam von
der
Straße aus humorvoll die Elfenbeintürme der Dichterkollegen
bestaunt – und
weil er das ohne Häme, Neid oder Missgunst tut.
Darum MacNeice.
Übersetzerische Überlegungen
Übersetzungen folgen
In den nächsten Posts, folgen Beispiele unserer Übersetzung, zweisprachig dargestellt. Diesbezüglich berufen wir uns auf §51 UrhG in Deutschland, dass die Verwendung von Zitaten regelt. Die allgemeine Begründung dafür ist, dass Zitate der kulturellen und wissenschaftlichen Weiterentwicklung einer Gesellschaft dienen.
Jonis
Hartmann und Henry Holland, Februar 2015
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