18 February 2015

Louis MacNeice, 1907-1963: Unsere deutschsprachige Erstübersetzung.



Im Zeitraum 2015-2016 wird unsere deutschsprachige Erstübersetzung von Louis MacNeices Lyrik veröffentlicht. Hier erklären wir warum.

Warum MacNeice?

Der große britische Lyriker Louis MacNeice fristet im deutschsprachigen Raum ein bisher unübersetztes Dasein. Er steht im Schatten der Schriftsteller-Gruppe um Auden, Isherwood, Spender und dem Nachruhm seines Freundes Dylan Thomas. Später, ab den 60er Jahren, stieg Seamus Heaneys Stern, und MacNeice verblieb hierzulande nahezu unbekannt. Vollkommen zu Unrecht, denn wie kaum jemand behauptete sich MacNeice mit einer unverwechselbaren Stimme in der englischsprachigen Lyrikwelt der Zwischenkriegsjahre bis zu seinem vorzeitigen Tod mit nur 56 Jahren im London der frühen 60er Jahre.   

Zielsicheres Gespür für das Undogmatische
 
Im Gegensatz zu Auden, mit dem er eng befreundet war, und vor allen Dingen im Gegensatz zu den charismatischen, aber zugleich oft selbstherrlichen Dichtungen der Modernen wie Yeats, Eliot oder Pound, verlässt sich MacNeice auf sein zielsicheres Gespür für das Undogmatische. Er ist nie Anhänger der rein politischen oder experimentellen Dichtung. Stattdessen entwickelt er eine dokumentarisch, sachliche Poetologie, die das Journalistische neben dem Ästhetischen und das Gesprochene neben dem Lyrischen platziert. Deutlich wird dies im Vergleich mit Audens Behandlung der Atmosphäre vor Ausbruch des 2. Weltkrieges – dessen Gedichte September 1, 1939 und Spain erschienen praktisch zeitgleich mit MacNeice‘ epischem Autumn Journal [1938]. Wo Auden moralisierend und symbolistisch zu Felde zieht und später in seinem berühmten Age of Anxiety religiös bilanzierende Verse dichtet, hält MacNeice mit einem reportageartigen lyrischen Tagebuch dagegen. Eher dem Tonfall seines Landsmannes George Orwell in Mein Katalonien verwandt, hütet sich MacNeice davor, idealistischen Programmen hinterherzulaufen. Er entscheidet sich für eine direkte und zugleich persönlich berührte Auseinandersetzung mit der Stimmung im langen Herbst vor der Katastrophe. Damit schafft er es, dichterisch ein Zeitbild entstehen zu lassen und erlebbar zu machen. 

The Earth Compels, wahrlich

Geboren 1907 im nordirischen Belfast, setzt sich MacNeice früh mit Mythen und Menschen seiner britischen Heimat auseinander. In seinem ersten, sehr erfolgreichen Gedichtband The Earth Compels dichtet er in klarer, rhythmischer Sprache über Belfast, die Hebriden, Zirkus, die Tinker oder Rendezvous einfacher Leute – nicht unähnlich den Dichtungen Bertold Brechts. Weder neoklassisch noch bemüht avantgardistisch widmet MacNeice seine eigene, erdverbundene Stimme den Bildern, kleinen Dramen und Beobachtungen seiner Umgebung. Die chthonische Stimmung verweigert sich jedem Moralisieren, obwohl er mit dem lyrischen Finger in vielen Misthaufen seiner Landsleute stochert und kritisch die allgegenwärtige Armut, den bisweilen aussichtslos scheinenden Kampf gegen Naturgewalten, den Alkohol oder religiöse Heuchelei schildert.

Die Nacht mit Dylan Thomas um die Ohren schlagen

Die Gedichte der Nachkriegszeit entstehen parallel zu denen des mythischen Walisers Dylan Thomas. Obwohl beide unterschiedliche dichterische Positionen  einnehmen, sind sie zeitlebens befreundet. Der „Rimbaud vom Cwmdonkin Drive“ schlägt sich seine letzte Nacht vor der verhängnisvollen Abreise nach New York mit MacNeice in einem Londoner Pub um die Ohren. Wie Thomas arbeitet auch MacNeice für die BBC und schreibt und inszeniert viele bekannte Hörspiele, später zum Teil von William Walton und Benjamin Britten vertont. Letzterer steht für weitere Parallelität zwischen MacNeice und Auden, denn letzterer wiederum schreibt mehrere Libretti für Britten und später für Strawinsky und Henze. Während MacNeice innerhalb Großbritanniens eben nicht zuletzt aufgrund seiner BBC-Arbeiten Bekanntheit genießt, erreicht er jedoch nie das global-populäre Image von Auden oder Thomas, von vielen Übersetzern schon zu Lebzeiten ins Deutsche übertragen. Nur ein einziger Band von MacNeice, Astrologie, eine unbedeutende Auftragsarbeit, wurde übersetzt; 1965 posthum zwei Jahre nach seinem Tod.    

Letzte Äußerungen eines sprachmächtigen Beobachters

Wäre MacNeice als dichterisch verstummter Hörspiel-Autor gestorben – übrigens infolge einer Lungenentzündung, die er sich beim Aufnehmen von Originaltönen in einer feuchten Höhle zuzog, wäre er sicherlich nicht zu dem überragenden Geheimtipp der englischsprachigen Lyrik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert geworden. Was MacNeice allerdings endgültig zu einer singulären Dichterstimme erhoben hat, sich keiner Strömung korrumpierend, sind seine drei letzten Gedichtbände, die kurz vor und nach seinem Tod erscheinen. Besonders in The Burning Perch, wenige Tage nach seiner Grablegung veröffentlicht, befinden sich in klaren, verknappten Versen und zugleich klassisch anmutenden Reim-Einschüben die letzten Äußerungen eines sprachmächtigen Beobachters, die ihn zu einer vor allem von anderen Dichtern geschätzten Persönlichkeit haben werden lassen. Mit Wehmut (Abschied von London), beinahe anarchischem Humor, der an spätere Ideen der Monty Python denken lässt (Die Taxis) oder surrealen Bildern von Busfahrten (Charon), webt MacNeice eine kraftvolle Lyrik ohne Allüren, die besonders auf den irischen späteren Nobelpreisträger Seamus Heaney großen Einfluss ausgeübt hat. 

Der missing link zwischen Yeats und Heaney

Auch wenn MacNeice seine größten dichterischen Erfolge zu

Lebzeiten lange vor seinem frühen Tod hat, gilt es besonders im 

deutschsprachigen Raum, ihn als den missing link zwischen Yeats und 

Heaney zu entdecken. Als einen großen Dichter, der erdige Themen 

und distanziert-kritische Haltung mit Ironie vorgetragen, dem 

Erratischen oder Pompösen der Auden-Generation und Dylan 

Thomas nicht nur entgegensetzen, sondern langfristig etablieren 

konnte. Als einen Dichter, der über eine eigenständige Position die 

lyrische Sprache einer sich ihrer Wurzeln bewussten Nation 

mitbestimmt hat und es durch seine Nachfolger weiterhin tut. Als 

einen Dichter, der es geschafft hat, Sympathien in seinen Lesern für 

sich als Person zu wecken, weil er mit ihnen gemeinsam von der 

Straße aus humorvoll die Elfenbeintürme der Dichterkollegen 

bestaunt – und weil er das ohne Häme, Neid oder Missgunst tut. 

Darum MacNeice.
 
Übersetzerische Überlegungen

Die Zeichensetzung in unserer Übersetzung haben wir nach poetologischen Gesichtspunkten vorgenommen. Bei unseren Entscheidungen im Bereich der Interpunktion haben wir Wert auf die visuelle Dimension der Lyrik gelegt. Wir haben uns entschieden, einige englische Substantive im Original zu erhalten und kursiv zu übernehmen. Sie sind praktisch nicht übersetzbar und spielen dieselbe phonetisch-atmosphärische Rolle wie Orts- oder Personennamen. Sie sollten daher nicht verändert werden. Für die Anordnung der ausgewählten Gedichte haben wir auf chronologische Abfolgen verzichtet. Die zehn Gedichte sollen repräsentativ für den Stil, die Themen und die Vielfalt von Louis MacNeice stehen. Für den entstandenen Ritt durch seine poetischen Sphären wählen wir ein Motto des Dichters selbst Snow entnommen: incorrigibly plural – unbelehrbar mehrzahl.

Übersetzungen folgen

In den nächsten Posts, folgen Beispiele unserer Übersetzung, zweisprachig dargestellt. Diesbezüglich berufen wir uns auf §51 UrhG in Deutschland, dass die Verwendung von Zitaten regelt. Die allgemeine Begründung dafür ist, dass Zitate der kulturellen und wissenschaftlichen Weiterentwicklung einer Gesellschaft dienen.

 
Jonis Hartmann und Henry Holland, Februar 2015

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